Von der „Kreidezeit“ ins digitale Zeitalter
Mehr Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem
Digitale Anwendungen bieten Lehrer*innen zahlreiche Möglichkeiten, ihren Unterricht neu zu gestalten und Schüler*innen individuell zu fördern. Doch nicht nur das darin liegende Potenzial ist groß, auch die Skepsis gegenüber der Digitalisierung im Kontext Schule ist es vielerorts noch immer. Beziehungsweise war sie es, bevor Corona kam. „Ganz klar, eine gewisse Scheu auf Seiten der Lehrkräfte war zunächst vorhanden“, sagt Jessica Becker, stellvertretende Schulleiterin an der Gemeinschaftsgrundschule Krefelder Straße in Duisburg.
Kein Wunder, schließlich sind viele von ihnen in ihrer bisherigen Berufslaufbahn gänzlich ohne Tablets und Apps ausgekommen. Dabei ist Digitalisierung weit mehr als das. „Mittlerweile haben alle verinnerlicht, dass das nun einmal unsere neue Lebensrealität ist.“ Wer hier mitgehen will, muss alte Routinen aufbrechen und gewohnte Pfade verlassen. Und wird automatisch aufgeschlossener gegenüber Neuem.
Andrea Ducrée von der Gemeinschaftsgrundschule Sunderplatz in Mülheim an der Ruhr, die seit Juni 2021 am Programm Klasse!Digital teilnimmt, berichtet: „Nach einer Weile haben alle aus unserem Kollegium gemerkt, dass Digitalisierung auch Vereinfachung bedeuten kann. Allein die Tatsache, dass ich nicht mehr so viele Materialien mitschleppen muss, ist doch ein Vorteil für mich.“ Die Lehrerin und Medienbeauftragte an der GGS Sunderplatz fügt hinzu: „Und nicht nur der Sachunterricht wird viel anschaulicher, wenn man mal eben ein Video zeigen kann.“
Kleine Schritte bringen große Veränderungen
Manche Schritte auf dem Weg in eine digitale Zukunft scheinen auf den ersten Blick simpel, haben aber eine große Wirkung. Wurden die Kisten mit den Tablets der GGS Krefelder Straße anfangs im Keller der Schule gelagert, wanderten sie zunächst in die Stockwerke mit den Klassenräumen, um für die Lehrer*innen leichter zugänglich zu sein. Mittlerweile wurden die Geräte auf die Klassen aufgeteilt, sodass sie immer greifbar sind. „Auch wenn auf diese Weise nicht für jedes Kind ein eigenes Gerät zur Verfügung steht – pro Klasse sind es acht Stück –, macht es einen großen Unterschied, dass die Geräte dauerhaft verfügbar sind“, berichtet die stellvertretende Schulleiterin Jessica Becker.
An der GGS Martinischule in Herten-Westerholt hat es ebenfalls seit dem Start von Klasse!Digital viele Veränderungen gegeben. „Nicht nur unser Unterricht enthält zunehmend mehr digitale Angebote, auch die Unterrichtsvorbereitung wird immer digitaler“, erzählt Judith Fecher, Lehrerin an der Grundschule. Anfang des Jahres wurde ein sogenanntes Digicafé eingerichtet, das die Lehrkräfte nutzen, um sich untereinander zu verschiedenen Themen fortzubilden. „Das Konzept ist super. Auf kollegialer Ebene lernen wir ganz viel voneinander, und die Hemmschwelle ist auch für diejenigen, die sich anfangs schwergetan haben, sehr niedrig“, sagt Judith Fecher. „Mittlerweile steuert jede*r Themen zum Digicafé bei.“
Auch die GGS Krefelder Straße in Duisburg setzt auf Mikrofortbildungen unter Kolleg*innen. „Klasse!Digital ist ein fester Bestandteil unserer Konferenzen geworden. Durch das Fortbildungsprogramm und die Arbeit mit unserer Schulentwicklungsbegleiterin haben wir viele Denkanstöße bekommen und vieles bereits umgesetzt“, sagt Jessica Becker, die die Teilnahme an dem Programm als sehr gewinnbringend für ihre Schule bezeichnet. Besonders gut gefällt ihr, dass viele der Referent*innen in den Fortbildungen selbst aus der Schulpraxis kommen. „Für uns Lehrkräfte ist es wichtig, etwas Praktisches an die Hand zu bekommen. Genau das ist hier der Fall – aus der Praxis für die Praxis."
Vom Overheadprojektor zum iPad
„Wir wurden quasi aus der ‚Kreidezeit‘ ins digitale Zeitalter gebeamt“, beschreibt Judith Fecher die Entwicklung der letzten zwei Jahre. „Kreidezeit“ sei dabei wörtlich zu verstehen. „Plötzlich hatten wir da diese riesige digitale Tafel vor uns, die ganz viel kann, und haben gedacht: ‚Hilfe, mit einem Stück Kreide kennen wir uns aus, aber hiermit?!‘“ Doch ebenso groß wie der anfängliche Respekt gegenüber digitalen Medien sind die Schritte in Sachen Digitalität, die viele Schulen seit Beginn der Pandemie verzeichnen. „Wer weiß, wie lange das ohne Corona gedauert hätte. So gesehen kann man dieser Zeit auch etwas Gutes abgewinnen“, sagt Jessica Becker von der GGS Krefelder Straße in Duisburg, wo die Software Padlet seit den pandemiebedingten Schulschließungen das Arbeitswerkzeug Nummer eins ist. Statt Whiteboard im Lehrer*innenzimmer nutzen die Lehrkräfte die digitale Pinnwand sowohl für den Unterricht als auch für die Arbeitsorganisation. Im Unterricht gehört das Arbeiten mit Apps wie Book Creator, ANTON und Scratch mittlerweile dazu.
Tablets sind nicht nur zum Daddeln da
Was die Schüler*innen betrifft, so haben diese in der Regel keine Hemmungen, sich im Umgang mit digitalen Medien auszuprobieren. „Im Gegenteil, sie brennen richtig darauf. Jedes Mal bricht Freude aus, wenn der Wagen mit den Tablets hereingerollt wird“, berichtet Judith Fecher von der Martinischule in Herten-Westerholt.
Ihre Kollegin Juliane Uphoff kann das bestätigen: „Vor Kurzem habe ich mit einer vierten Klasse Erklärvideos mithilfe des Videoschnittprogramms iMovie produziert. Bevor wir die eigentlichen Inhalte erstellt haben, hatten die Schüler*innen eine Stunde lang Gelegenheit, das Programm zu erkunden. Anschließend haben sie die wichtigsten Funktionen beherrscht und sogar welche entdeckt, die ich selbst noch nicht kannte, obwohl ich die App oft nutze.“
Begeisterung in der Klasse, sobald Lernapps im Unterricht zum Einsatz kommen – davon berichten durchweg alle Lehrkräfte. Dass es hier keine Berührungsängste gibt, dürfte nicht verwundern. Schließlich sind digitale Medien ein fester Bestandteil der Lebenswelten junger Menschen. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kinder von vorneherein in der Lage sind, etwa ein Tablet auch als Arbeitsgerät zu nutzen. „Klar, sie kennen diese Geräte von zu Hause, aber bei uns lernen sie, dass diese nicht nur zum Daddeln da sind“, sagt Jessica Becker. „Die Motivation auf Seiten der Kinder ist sehr hoch. Aber wir müssen als Lehrkräfte stark differenzieren, welche Apps Sinn machen, und ihren Nutzen abwägen“, bestätigt Andrea Ducrée. Auch die Lehrer*innen an der GGS Martinischule haben einen starken Fokus darauf, wo die Kinder besonders angeleitet werden müssen. „Vielen ist noch nicht bewusst, worauf sie beispielsweise im Umgang mit sozialen Medien achten müssen. Die Schüler*innen sind ganz unbefangen und teils auch unvorsichtig auf Plattformen wie YouTube und TikTok unterwegs. Wir zeigen auf, dass das auch unliebsame Konsequenzen haben kann“, sagt Judith Fecher.
Ob Lehrkräfte oder Schüler*innen: Alle werden mitgenommen
Eines der Hauptziele, dass sich die GGS Krefelder Straße mit der Teilnahme an dem Programm Klasse!Digital gesetzt habe, sei laut Jessica Becker bereits erreicht: „Wir haben alle Kolleg*innen mitgenommen. Es gab schon vorher Lehrkräfte, die für das Thema Digitalisierung brannten, aber natürlich auch jene, bei denen noch ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet werden musste.“ Der Steuergruppe „Digitalisierung“ sei es innerhalb eines Dreivierteljahres gelungen, alle auf den gleichen Stand zu bringen, was den Umgang mit regelmäßig genutzten Apps wie etwa Book Creator angehe.
Auf der anderen Seite hätten digitale Medien das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Inklusion zu leisten. „Gerade im Unterrichten von Kindern, die einen besonderen Förderbedarf haben, eröffnen sich uns ganz neue Spielräume“, sagt Jessica Becker. Auch geflüchtete Kinder können davon profitieren, beispielsweise wenn Apps mit Übersetzungsfunktion genutzt werden. „Schüchterne Kinder, die sonst nie vor der Klasse vorlesen möchten, trauen sich auf einmal, einen Text vor dem iPad vorzulesen, und ich stelle beim Hören der Aufzeichnung erstaunt fest: Das Kind liest ja ganz flüssig!“ Ein weiterer Vorteil: Digitale Unterrichtsmaterialien lassen sich viel schneller an den Lernstand des jeweiligen Kindes anpassen. Das wiederum bietet nicht nur zusätzliche Möglichkeiten zur Inklusion, sondern verschafft den Lehrkräften Raum, stärker auf die verschiedenen Schüler*innen und ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen.
(Autorin: Mascha Dinter)
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